Lebensverlängernde Maßnahmen: Wer im Ernstfall entscheidet

Ein Senior in dunkelgrünem T-Shirt sitzt am Bett einer Seniorin. An seinem Handgelenk trägt er eine goldene Armbanduhr. Er hält die Hand der Seniorin und küsst ihre Hand. Die Seniorin schaut ihn an. Sie trägt ein hellblaues T-Shirt. An ihrem Bett sind Bettgitter befestigt. Beide haben einen ernsten Gesichtsausdruck. Im Hintergrund ist ein Fenster und ein beiger Sessel zu erkennen. Die Bettdecke der Seniorin ist mit einem Blumenmuster bedruckt.
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Ein folgenreicher Unfall, ein schwerer Schlaganfall oder ein Herzinfarkt: Zahlreiche medizinische Notfälle und Erkrankungen bringen mögliche lebensverlängernde Maßnahmen mit sich. Ungeklärte Fragen und die Konsequenzen, die diese Eingriffe zur Folge haben können, treffen Angehörige schwerstkranker Patienten fast immer unvorbereitet und belasten emotional schwer. Lesen Sie hier, welche lebensverlängernden Maßnahmen es gibt, wer über sie entscheidet und unter welchen Umständen sie enden – mit spezifischen Infos für Pflegekräfte.

Was sind lebenserhaltende Maßnahmen?

In der Medizin gibt es eine Reihe von Verfahren, die eine schwer erkrankte Person eine Zeitlang am Leben erhalten. Zu den lebensverlängernden Maßnahmen zählen:

Eine der wichtigsten Handlungsregeln für Ärzte besagt, dass zur Wiederherstellung der Gesundheit eines Patienten alles getan werden muss, um sein Leben zu erhalten – vor allen dann, wenn realistische Chancen auf Genesung bestehen. Anders sieht es aus beim Umgang mit Schwerstkranken oder Sterbenden. Hier stehen sich Nutzen und Wirkung von lebensverlängernden Maßnahmen oftmals konträr gegenüber.

Gibt es einen Unterschied zwischen lebensverlängernden und lebenserhaltenden Maßnahmen?

Nein, denn in der Pflege und Versorgung schwer erkrankter Patienten verstehen medizinisches und pflegendes Personal unter beiden Begrifflichkeiten das gleiche: Infusionen, Herzschrittmacher und Wiederbelebungen – aber auch Atmen, Trinken und Essen – zählen sowohl zu den lebensverlängernden, als auch zu den lebenserhaltenden Maßnahmen.

Beispiel PEG-Sonde: Was sind Pro und Kontra von lebensverlängernden Maßnahmen? 

Besonders deutlich macht den Widerspruch von Zweck und Notwendigkeit lebensverlängernder Maßnahmen ein Blick auf die Diskussionen rund um sogenannte Perkutane endoskopische Gastrostomie-Sonden, kurz PEG: Diese Bauchsonden legen Ärzte, um schwerkranke Patienten künstlich zu ernähren sowie Schmerzmittel und andere Medikamente zu verabreichen. Dafür sind eine gründliche Aufklärung sowie die anschließende Einwilligung unter Berücksichtigung des Patientenwillens nötig. 

PEG-Sonde: Vorteile für Patienten

Laut einem Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom März 2003 muss die Aufklärung über lebensverlängernde Maßnahmen folgende Punkte umfassen:

  • Wie erfolgt das Legen der PEG-Sonde und welche Risiken sind damit verbunden?
  • Was ist das Ziel der Behandlung mit einer Bauchsonde?
  • Wie lange soll der Patient mit der Sonde in der Einrichtung verweilen?
  • Wie genau sieht sein Leben mit der Sonde aus? Welche Gefahren bestehen (Reflux, Einatmen von Mageninhalt, etc.)
  • Hinweis auf die Möglichkeit einer Beendigung mit der Versorgung durch die Magensonde

Die PEG-Sonde sichert die optimale Pflege des schwerkranken Patienten und gilt als unentbehrlich bei der akuten Versorgung durch Ärzte und Pfleger.

Nachteile einer PEG-Sonde

Die Sonde kann jedoch auch Nachteile mit sich bringen:

  • medizinische Komplikationen, wie Blutungen, Magen-Darm-Beschwerden, Hautinfektionen
  • Gefahr der sozialen Isolation
  • Notwendigkeit von Fixierungen und Sedierungen, wenn Schwerkranke die Sonden nicht tolerieren und diese selbst entfernen wollen
  • Betroffene benötigen eine dauerhafte Beaufsichtigung und Pflege während der Nutzung der Sonden

Es braucht deshalb eine sorgfältige Einzelfallabwägung, ob lebensverlängernde Maßnahmen tatsächlich Leid lindern und die Lebensqualität verbessern – oder zu mehr Schmerzen und Komplikationen führen. Eingriffe am Patienten sollten immer in einem sinnvollen medizinischen Verhältnis stehen zum erwartbaren Erfolg der Behandlung sowie der Lebenserwartung des Erkrankten.

Wer kann über lebensverlängernde Maßnahmen entscheiden?

Laut § 1901b BGB prüft zunächst der behandelnde Arzt, welche medizinische Maßnahme mit Blick auf den Zustand und den Behandlungsverlauf eines schwererkrankten Patienten angemessen erscheint. Anschließend entscheidet er darüber gemeinsam mit ihm oder mit den Angehörigen beziehungsweise Betreuern des Erkrankten – jedoch ausschließlich unter Berücksichtigung des Willens des Patienten.

Um im Sinne des Erkrankten zu handeln, liegt den Familienmitgliedern oder Betreuern sowie den zuständigen Medizinern und Pflegern bestenfalls eine Patientenverfügung vor. Darin regelt die betreffende Person vor Eintritt des Ernstfalles, welche lebenserhaltenden Maßnahmen Ärzte in einer bestimmten medizinischen Situation einsetzen sollen – oder ob er diese unter keinen Umständen wünscht und somit gänzlich ablehnt. Führt ein Arzt lebenserhaltende Eingriffe ohne eine wirksame Einwilligung des Erkrankten durch, begeht er nach § 223 ff. StGB Körperverletzung und macht sich somit strafbar.

Keine Patientenverfügung: Was dürfen Angehörige entscheiden?

Für den Fall, dass ein medizinischer Notfall den Einsatz möglicher lebensverlängernder Maßnahmen zur Folge hat und keine Patientenverfügung den Willen des Erkrankten regelt – oder dieser aufgrund bestimmter Vorerkrankungen wie beispielsweise Alzheimer oder Demenz als nicht mehr einwilligungsfähig gilt – bestimmt ein Gericht einen Betreuer. 

Eine Person kann jedoch auch vorab im Rahmen einer Vorsorgevollmacht festlegen, wer für ihn im Falle des Falles über lebenserhaltende Maßnahmen entscheidet. Meist handelt es sich dabei um Familienmitglieder oder enge Vertraute des Erkrankten. Der Betreuer entscheidet dann über den Einsatz der vom Arzt angedachten lebenserhaltenden Maßnahmen. 

Wie lässt sich der Willen eines Erkrankten ohne Patientenverfügung ermitteln?

Für den Angehörigen – aber auch für Pfleger und medizinisches Personal – ist die Ermittlung des mutmaßlichen Willens eines Patienten psychisch oft sehr belastend. Vor allem dann, wenn über die Haltung des Patienten zu lebensverlängernden Maßnahmen nichts bekannt ist. 

Eine Hilfestellung liefert Betreuern und Ärzten hier zum Beispiel eine Checkliste des Amtsgerichts Düren, mit deren Hilfe sich der Patientenwille unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben feststellen lassen kann. Die Anleitung enthält folgende Schritte:

Ermittlung der Unfähigkeit des Patienten, in mögliche Maßnahmen einzuwilligen
Ermittlung entscheidungsbefugter Personen
Ermittlung der Situation aus medizinischer Sicht
Mitwirkung von Familienangehörigen und Vertrauten des Erkrankten
Ermittlung des Patientenwillens
Entscheidung von Mediziner und Angehörigen/Betreuern

Achtung

Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren gelten rechtlich als nicht einwilligungsfähig. Das heißt, hier entscheiden im Notfall die Ärzte gemeinsam mit den Sorgeberechtigten über den Einsatz lebensverlängernder Maßnahmen.

Wie erfolgt der Abbruch von lebensverlängernden Maßnahmen?

Entscheidend für einen Abbruch lebenserhaltener Eingriffe ist der Wille des Betroffenen. Die Einwilligung, durch ein Einstellen der Maßnahmen den Tod herbeizuführen, kann 

  • der Patient selbst erklären, falls er gesundheitlich dazu in der Lage ist
  • der Patient schriftlich vorab in einer Patientenverfügung festhalten
  • ein per Vorsorgevollmacht oder Gericht eingesetzte Betreuer in Abstimmung mit den Ärzten festlegen (mutmaßlicher Wille)

Der Wille des Erkrankten zum Abbruch der Eingriffe ist auch dann bindend, wenn die Behandlungssituation eine positive Prognose zur Heilung erlaubt. Das heißt, auch bei guten Überlebenschancen müssen Mediziner auf Wunsch des Patienten die lebenserhaltenden Maßnahmen einstellen.

Ausnahmen sind möglich, wenn Betreuer eines nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten den Abbruch wünschen – und der Arzt widerspricht. In diesem Fall muss das zuständige Betreuungsgericht über die Weiterführung oder die Einstellung der Maßnahmen entscheiden.

Lebensverlängernde Maßnahmen: Entscheidung im Einzelfall

Lebensverlängernde Eingriffe umfassen eine große Bandbreite von medizinischen Maßnahmen: Von Beatmung, Operationen, Infusionen, reanimierenden Handlungen bis hin zu künstlicher Ernährung und der Gabe von Medikamenten über PEG-Sonden. Je nach Situation führen die Behandlungen zu einer Verbesserung der Gesundheit und der Lebensqualität – sie können Schmerzen und Komplikationen aber auch verschlimmern.

Deshalb zählt vor allem anderen der Wille des Patienten für oder gegen bestimmte lebensverlängernde Maßnahmen. Ist der Betroffene nicht mehr in der geistigen oder körperlichen Verfassung und liegt keine Patientenverfügung vor, so bestellt ein Gericht einen Betreuer. Dieser gibt in Abstimmung mit dem behandelnden Arzt seine Einwilligung in den Einsatz, die Fortführung oder den Abbruch der Maßnahmen – und entscheidet somit direkt oder indirekt über Leben und Sterben.