In der Pflegedokumentation müssen Sie im stationären Bereich für jeden Pflegekunden das individuelle Sturzrisiko erfassen und bei Bedarf entsprechende Maßnahmen planen. Im ambulanten Dienst gilt dies nur im Rahmen des Pflegeauftrages, ansonsten müssen Sie nur zur Prävention beraten.
Vermeiden Sie übervorsichtige Einschätzungen
Viele Fachkräfte sind sich bei der Einschätzung noch unsicher und glauben nach wie vor, dass sie zu allen möglichen Risikofaktoren eine Prophylaxe planen müssen.
Schätzen Sie das Risiko realistisch ein
Dennoch würden viele Pflegekräfte bei Herrn Habicht Prophylaxen planen. Der Grund: Die Kurzsichtigkeit, die Bewegungseinschränkung und zahlreichen Medikamente sind Risikofaktoren für Stürze. Die Schritt-für-Schritt-Anleitung zeigt Ihnen, wie Sie das Risiko schnell und einfach einschätzen. Das Beispiel der sturzgefährdeten Pflegekundin Frau Maier erläutert die Umsetzung.
Schritt-für-Schritt-Anleitung: In 3 Schritten zur Risikoeinschätzung
1. Nutzen Sie Ihren gesunden Menschenverstand | 2. Begründen Sie Ihre Einschätzung anhand Ihrer Beobachtungen | 3. Suchen Sie nach weiteren Risikofaktoren | |
Einschätzung | Ist Ihr Pflegekunde Ihrer Meinung nach sturzgefährdet? | Warum? Warum nicht? Wie begründen Sie Ihre Einschätzung? | In der unteren Reihe sind zur Auffrischung für Sie die wichtigsten Sturzrisikofaktoren aufgezählt. Gehen Sie sie einzeln durch und prüfen Sie, ob sie auf Ihren Pflegekunden zutreffen. Falls ja, entscheiden Sie, ob sie die Sturzgefahr beeinflussen. |
Erläuterung | Beantworten Sie diese Frage immer zuerst, denn vermutlich können Sie das Risiko intuitiv sehr treffgenau einschätzen. | Wie bewegt sich Ihr Pflegekunde und welches Risiko ergibt sich konkret daraus?Hinweis: Beschreiben Sie die Bewegungsabläufe möglichst genau. | Wie und warum beeinflusst der jeweilige Faktor konkret das Sturzrisiko? Warum trifft der Risikofaktor zwar auf den Pflegekunden zu, hat aber dennoch keine Auswirkung auf ein mögliches Sturzrisiko? |
Beispiel | Frau Maier ist sturzgefährdet, da sie immer wieder Dinge vom Boden aufhebt, obwohl sie leicht das Gleichgewicht verliert. | Die Pflegekundin geht schwankend kann und unvermittelte Bewegungen kaum ausgleichen. Sie kann sich zwar nach vorn beugen, hat aber nicht mehr die Kraft, sich wieder aufzurichten. | Ihre kognitiven Einschränkungen führen dazu, dass Frau Maier ihre Fähigkeiten falsch einschätzt. Sie wartet nicht auf Hilfe, sondern hebt die Gegenstände selbst auf. Sie ist zwar inkontinent, wechselt ihre Einlagen aber selbst, ohne dass sie hierbei das Gleichgewicht verliert. Entsprechend birgt dieser Faktor kein Sturzrisiko. |
Was sind mögliche Sturzrisikofaktoren?
- kognitive Einschränkungen/Depressionen
- Probleme mit der Körperbalance, Veränderungen des Gangbildes, Sensibilitätsstörungen
- eingeschränkte Bewegungsfähigkeit
- Augenerkrankungen oder eine Fehlsichtigkeit
- Probleme mit der Ausscheidung (z. B. Inkontinenz)
- Erkrankungen, die zu Schwindel und/oder kurzzeitiger Ohnmacht führen können (z. B. Unterzuckerung, plötzlicher Blutdruckabfall, Herzrhythmusstörungen)
- Angst vor Stürzen
- Hilfsmittel (z. B. Rollator) und Nutzung dieser Medikamente
- komplizierte Kleidung, ungeeignete Schuhe
Planen Sie nur sinnvolle Maßnahmen
Die Hauptursache für Stürze besteht bei Frau Maier durch die Fehleinschätzung ihrer Kräfte und ihrem Bedürfnis nach
Selbstständigkeit. Geeignete Maßnahmen sind in diesem Fall regelmäßige Erinnerungen daran, dass sie mit dem Aufheben warten soll. Außerdem könnte eine Greifhilfe ihr das Bücken ersparen. Gängige Prophylaxemaßnahmen wie etwa sicheres Schuhwerk und Stolperfallen müssen Sie in diesem Fall nicht planen, da dies nichts mit der aktuellen Sturzgefahr zu tun hat.
Fazit: Haben Sie keine Angst vor Fehleinschätzungen
Wenn Ihr Pflegekunde stürzt, obwohl Sie kein Risiko festgestellt hat, haben Sie seine Fähigkeiten nicht unbedingt falsch eingeschätzt. Niemand verlangt von Ihnen, dass Sie alle Eventualitäten voraussehen. Das steht ebenso im Expertenstandard „Sturzprophylaxe“, der ein allgemeines Lebensrisiko einräumt. Hiermit ist gemeint, dass sich nicht alle Stürze verhindern lassen.