Ihr Ziel: Effektives Schmerzmanagement
Laut des Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege bei chronischen und akuten Schmerzen“ muss jeder Ihrer Pflegekunden mit akuten oder chronischen Schmerzen schnellstmöglich ein effektives Schmerzmanagement erhalten. Hierdurch sollen die Schmerzen beseitigt oder zumindest auf ein erträgliches Maß reduziert werden. Damit Sie dieses Ziel erreichen können, sollten Sie in der Lage sein, die Schmerzen Ihres Pflegekunden zu erkennen und die Schmerzintensität zu ermitteln. Doch es ist bekannt, dass Patienten mit einer Demenz in der Regel wesentlich weniger Schmerzmedikamente erhalten als Menschen ohne kognitive Einbußen. Dies lässt darauf schließen, dass Schmerzen nicht immer erkannt werden und macht deutlich, dass besonders Sie als Pflegekräfte auf etwaige Anzeichen achten sollten. Die korrekte Schmerzerfassung bei Demenzpatienten unterscheidet sich allerdings.
Bei Demenzerkrankten sind die normalen Schmerzskalen nicht geeignet
Es gibt durchaus Menschen mit Demenz, die selbst im fortgeschritteneren Stadium noch angeben können, ob sie Schmerzen haben und wie stark diese Schmerzen sind. Ist dies bei Ihrem Pflegekunden mit Demenz der Fall, gelingt Ihnen die Schmerzerfassung hier mithilfe der verbalen Ratingskala (VRS). Die Schmerzerfassung durch die verbale Ratingskala wird aber bei stärker kognitiv Beeinträchtigten sehr schwierig, denn der Mensch mit Demenz kann einfach nicht mehr sagen, dass und ggf. wo er Schmerzen hat, oder er hat das Wort „Schmerzen“ vergessen. Deswegen ist die oben genannte Schmerzskala für die Schmerzdiagnostik bei Menschen mit Demenz häufig nicht brauchbar. Bei Demenzpatienten kommt es vorrangig auf eine gute Beobachtungsgabe und Wahrnehmung Ihrerseits und der anderen an der Pflege und Betreuung Beteiligten an. Dabei müssen Sie besonders auf indirekte Zeichen von Schmerzen achten. Rückschlüsse auf Schmerzen lassen sich häufig aus dem veränderten Verhalten Betroffener ziehen.
So können:
- gequälte Laute,
- Stöhnen,
- Weinen oder Schreien,
- nicht deutbare Aggressionen,
- Abwehr bei der Pflege,
- Appetitmangel oder
- Schlafstörungen auf Schmerzen hinweisen.
- plötzliche und/oder von außen nicht erklärbare Verhaltensänderungen (z. B. ein lauter agiler Mensch wird ruhig und zieht sich zurück)
- Mimik,
- Schonhaltungen,
- Unruhe
Zudem können vegetative Zeichen wie Tachykardie, eine flache Atmung, Blässe, Schweiß oder ein gesteigerter Muskeltonus Schmerzen signalisieren.
Schmerzerfassung mithilfe einer Fremdeinschätzungsskala
Eine gute Hilfestellung bieten Beurteilungsskalen, die eine strukturierte Beobachtung ermöglichen. Als Fremdeinschätzungsinstrumente kommen folgende Assessments infrage, die speziell für demenziell veränderte bzw. nicht auskunftsfähige Personen entwickelt wurden:
- Die Beurteilung von Schmerzen bei Demenz (BESD) orientiert sich an nonverbalen Signalen wie Gesichtsausdruck, Atmung, Lautäußerungen.
- Die Schmerzskala für nicht kommunikationsfähige Patienten (ECPA) und das Beobachtungsinstrument für das Schmerzassessment bei alten Menschen mit Demenz (BISAD) ähneln sich sehr: Beide berücksichtigen das Verhalten während und außerhalb der Pflege. Es gibt keine Punkteskala, die für oder gegen Schmerzen spricht. Die Assessments sollen den Verlauf beschreiben, etwa die Reaktion auf Schmerzmedikamente.
- Das Zurich Observation Pain Assessment (ZOPA) ist als Einschätzungshilfe für Pflegekunden gedacht, die kaum Reaktionen zeigen und deren Schmerzerleben besonders schwer einzuschätzen ist.
Informieren Sie den Arzt
Wenn Sie anhand der Fremdeinschätzungsskala festgestellt haben, dass Ihr Pflegekunde mit Demenz unter Schmerzen leidet, sollten Sie den behandelnden Arzt darauf hinweisen. Anhand Ihrer Schmerz- und Symptomkontrolle sowie der Schmerzermittlung kann sich dieser ein genaues Bild über seinen Schmerzpatienten machen und weitere Maßnahmen einleiten.
Die medikamentöse Schmerzbehandlung
Nachdem der Arzt eine medikamentöse Schmerztherapie eingeleitet hat, müssen Sie anhand der Fremdeinschätzungsskala einschätzen, ob Ihr Pflegekunde mit Demenz schmerzfrei ist oder ob die Schmerzintensität nachgelassen hat.
Stellen Sie fest, dass der Betroffene immer noch unter Schmerzen leidet, sollten Sie den Arzt informieren, damit er die Schmerzbehandlung anpassen kann.
Die ECPA-Skala zur Schmerzerfassung im Überblick
Die ECPA wird zur Schmerzerfassung bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen eingesetzt. Die Skala fragt in insgesamt 3 Dimensionen je 3 bis 4 Items ab. Jedes Item wird in einer 5-stufigen Skala ( 0 = keine Äußerung bis 4 = höchster Schmerzgrad) eingeschätzt.
Die 3 Dimensionen sind:
- Beobachtungen außerhalb der Pflege,
- Beobachtungen während der Pflege,
- Auswirkungen auf Aktivitäten.
Die Beurteilung und Anwendung der ECPA-Skala werden vor allem durch Sie als Pflegekraft durchgeführt, da Sie durch Ihre Nähe zum Pflegekunden mit Demenz diesen genau beobachten und schon kleinste Veränderungen in den einzelnen Items wahrnehmen können.
Beziehen Sie auch die Beobachtung anderer mit ein
Wenn möglich, sollten auf jeden Fall auch die Beobachtungen der Angehörigen, Therapeuten, Betreuungskräfte usw. in die Schmerzerfassung mit einfließen.
Ihre Berechnung als Grundlage nutzen
Wiederholen Sie im Abstand von mehreren Tagen die Schmerzerhebung anhand der ECPA-Schmerzskala und berechnen Sie das in Punkten errechnete Ergebnis (Score). Denn dies dient Ihnen anschließend als Grundlage der Schmerztherapie und der Wirksamkeitsbeurteilung.
Die Dimensionen der ECPA-Skala
Im Folgenden finden Sie einen Überblick, welche Items zu den jeweiligen Dimensionen der ECPA-Skala zählen. Jedes Item entspricht einem Punktwert von 0 bis 5, den sie anhand Ihrer Beobachtungen festhalten und zusammenfassend addieren, um einen Gesamtwert zur Einschätzung des Schmerzempfindens Ihres Patienten zu erhalten.
Dimension 1: Beobachtungen außerhalb der Pflege
Item 1 – verbale Äußerungen: Stöhnen, Klagen, Weinen, Schreien
0 Patient macht keine Äußerungen
1 Schmerzäußerungen, wenn Patient angesprochen wird
2 Schmerzäußerungen, sobald jemand beim Patienten ist
3 spontane Schmerzäußerungen oder spontanes leises Weinen, Schluchzen
4 spontanes Schreien bzw. qualvolle Äußerungen
Item 2 – Gesichtsausdruck: Blick und Mimik
0 entspannter Gesichtsausdruck
1 besorgter, gespannter Gesichtsausdruck
2 ab und zu Verziehen des Gesichts, Grimassen
3 verkrampfter und/oder ängstlicher Blick
4 vollständig starrer Blick/Ausdruck
Item 3 – Haltung: spontane Ruhehaltung
0 keinerlei Schonhaltung
1 Vermeidung bestimmter Positionen / Haltung
2 Patient wählt Schonhaltung, aber kann sich bewegen
3 Patient sucht erfolglos eine schmerzfreie Schonhaltung
4 Patient bleibt vollständig immobil
Dimension 2: Beobachtungen während der Pflege
Item 4 – ängstliche Abwehr bei der Pflege
0 Patient zeigt keine Angst
1 ängstlicher Blick, angstvoller Ausdruck
2 Patient reagiert mit Unruhe
3 Patient reagiert aggressiv
4 Patient schreit, stöhnt, jammert
Item 5 – Reaktionen bei der Mobilisation
0 Patient steht auf / lässt sich mobilisieren ohne spezielle Beachtung
1 Patient hat gespannten Blick, scheint Mobilisation und Pflege zu fürchten
2 Patient klammert mit den Händen / macht Gebärden bei Mobilisation und Pflege
3 Patient nimmt während Mobilisation und Pflege Schonhaltung ein
4 Patient wehrt sich gegen Mobilisation und Pflege
Item 6 – Reaktionen während der Pflege schmerzhafter Zonen
0 keinerlei negative Reaktionen während der Pflege
1 Reaktionen während der Pflege, ohne weitere Bezeichnung
2 Reaktionen beim Anfassen oder Berühren schmerzhafter Zonen
3 Reaktion bei flüchtiger Berührung schmerzhafter Zonen
4 Unmöglichkeit, sich schmerzhaften Zonen zu nähern
Item 7 – verbale Äußerungen während der Pflege
0 keine Äußerungen währ end der Pflege
1 Schmerzäußerungen, wenn man sich an den Patienten wendet
2 Schmerzäußerungen, sobald Pflegekräfte beim Patienten sind
3 spontane Schmerzäußerungen oder spontanes leises Weinen, Schluchzen
4 spontanes Schreien bzw. qualvolle Äußerungen
Dimension 3: Auswirkungen auf Aktivitäten
Item 8 – Auswirkungen auf den Appetit
0 keine Veränderungen bezüglich des Appetits
1 leicht reduzierter Appetit, isst nur einen Teil der Mahlzeiten
2 muss animiert werden, einen Teil der Mahlzeiten zu essen
3 isst trotz Aufforderung nur ein paar Bissen
4 verweigert jegliche Nahrung
Item 9 – Auswirkungen auf das Schlafverhalten
0 guter Schlaf, beim Aufwachen ist Patient ausgeruht
1 Einschlafschwierigkeiten oder verfrühtes Erwachen
2 Einschlafschwierigkeiten und verfrühtes Erwachen
3 zusätzliches nächtliches Erwachen
4 seltener oder fehlender Schlaf
Item 10 – Auswirkungen auf die Bewegung
0 Patient mobilisiert und bewegt sich wie gewohnt
1 Patient bewegt sich wie gewohnt, vermeidet aber gewisse Bewegungen
2 seltenere / verlangsamte Bewegungen
3 Immobilität
4 Apathie oder Unruhe
Item 11 – Auswirkungen auf die Kommunikation / Kontaktfähigkeit
0 üblicher Kontakt
1 Herstellen von Kontakt erschwert
2 Patient vermeidet Kontaktaufnahme
3 Fehlen jeglichen Kontaktes
4 totale Indifferenz
Total Punkte (0 = kein Schmerz, 4 = maximaler Schmerz). Es ist sinnvoll, jede Dimension getrennt zu betrachten, damit der Arzt eine optimale medikamentöse und Sie als Pflege- und Betreuungskraft eine nicht medikamentöse Schmerztherapie einleiten können.