- Postoperatives Delir: Was ist ein Durchgangssyndrom?
- Welche Ursachen hat das postoperative Durchgangssyndrom?
- Welche Symptome weisen auf ein Durchgangssyndrom hin?
- Unterschiedliche Aktivitätsänderungen beim postoperativen Delir
- Was sind die unterschiedlichen Ausprägungen beim Durchgangssyndrom?
- Fallbeispiel: Vor der Operation – eigentlich war alles ganz normal
- Verdacht auf ein postoperatives Delir: Ein Test gibt Aufschluss
- Was kann man gegen das Durchgangssyndrom tun?
- Wie erfolgt die klinische Therapie des Durchgangssyndroms?
- Bei Verdacht auf ein Durchgangssyndrom: Seien Sie mutig
Aggressives Verhalten, Desorientierung und Verwirrtheitszustände – Sie erkennen Ihren Pflegekunden nach einer Operation teilweise nicht wieder? Gerade bei Menschen höheren Lebensalters kommt es häufig vor, dass sich nach einem chirurgischen Eingriff ein postoperatives Delir, das sogenannte Durchgangssyndrom, einstellt. Doch was genau versteht man unter diesem Begriff? Und wie können Pflegefachkräfte dieser schwierigen Situation begegnen?
Postoperatives Delir: Was ist ein Durchgangssyndrom?
Das Durchgangssyndrom bezeichnet eine Sammlung psychopathologischer Symptome, die nach operativen Eingriffen auftreten. Betroffene leiden unter Verwirrtheit, Aggressivität und anderen vegetativen Begleiterscheinungen.
Das Durchgangssyndrom ist eine reversible Erkrankung, die vor allem bei älteren Patienten auftritt. Die Symptome bilden sich meist innerhalb von einigen Tagen zurück. In Ausnahmefällen kann das Durchgangssyndrom allerdings auch zu einem dauerhaften Delir führen – der Verwirrtheitszustand hält dann über einen längeren Zeitraum an und muss mit Medikamenten behandelt werden.
Das Durchgangssyndrom sollte nicht mit einer Demenz verwechselt werden, bei der Gedächtnis- und Bewusstseinsstörungen unabhängig von einer Operation auftreten.
Der Begriff „Durchgangssyndrom“ beschreibt kognitive Defizite nach operativen Eingriffen und Anästhesie. Allergings existiert keine einheitliche Definition.
Mediziner verwenden zur Diagnostik daher oft folgende Synonyme:
- postoperative cognitive dysfunction (POCD), übersetzt als
- postoperatives kognitives Defizit
- Funktionspsychose
- kurzzeitige organische Psychose
- akutes organisches Psychosyndrom
- postoperatives Durchgangssyndrom
- postoperative Verwirrtheit
- Delir
- postoperatives Delir
- Verwirrtheit nach Narkose
- kognitive Dysfunktion
- neuropsychologische Auffälligkeiten
Welche Ursachen hat das postoperative Durchgangssyndrom?
Die Auslöser des Durchgangssyndroms sind nicht vollständig erforscht. Dennoch scheinen ein hohes Alter, Stress, Schlaflosigkeit, Infektionen und bestimmte Medikamente das Auftreten des postoperativen Delirs zu begünstigen.
Es gibt also nicht eine Ursache für das Durchgangssyndrom. Vielmehr handelt es sich um ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren, die sich auf die Funktionsweise des Gehirns auswirken. Zudem gibt es einige Risikofaktoren, welche die Entstehung begünstigen.
Dazu zählt zum Beispiel auch eine Vorerkrankung mit Demenz, da Betroffene auch ohne operativen Eingriff oft unter Verwirrung und Angst leiden. Zudem scheint auch eine Alkohol- beziehungsweise Drogenabhängigkeit das postoperative Psychosyndrom zu begünstigen, da die Sucht das Gehirn besonders problemanfällig macht.
Weitere Ursachen des Durchgangssyndroms nach einer OP sind:
- Behandlung mit überdosierten Psychopharmaka (beispielsweise Antidepressiva) und nicht-psychoaktiven Medikamenten wie antiallergischen Mitteln
- Infektionen vor der Operation (beispielsweise ein Harnwegsinfekt)
- Stress und Reizüberflutung
- Wahrnehmungsprobleme (da zum Beispiel Brille und/oder Hörgeräte nach einer Operation nicht getragen werden)
- sehr lange Dauer des Eingriffs beziehungsweise der Narkose
Entscheidend scheint dabei vor allem auch zu sein, wie der Körper auf entzündliche Prozesse reagiert. Besonders ältere Menschen haben oft mit der Kombination aus Narkosemitteln, Schmerzbotenstoffen und Stresshormonen zu kämpfen und leiden daher häufiger an dem Durchgangssyndrom nach einer OP.
Welche Symptome weisen auf ein Durchgangssyndrom hin?
Die folgende Symptomatik weist auf ein Durchgangssyndrom hin: Denk- und Gedächtnisstörungen, Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen, Verwirrung sowie zeitliche wie räumliche Desorientierung. Außerdem können weitere vegetative Beschwerden auftreten.
Verwirrtheit nach einer Narkose kann ein eindeutiges Anzeichen für ein Durchgangssyndrom sein. Doch nicht alle Symptome treten direkt nach Operation auf. Teilweise vergehen sogar Tage, bis die Verwirrung einsetzt und sich das Zustandsbild verschlechtert. Ein Aufenthalt auf der Intensivstation scheint die Symptomatik zu begünstigen. Oft bemerken zunächst Angehörige eine Verhaltensveränderung bei den Betroffenen. Diese sind nach der Narkose beispielsweise dauerhaft verwirrt oder zeigen plötzlich aggressive Stimmungsschwankungen.
Neben der Reizbarkeit leiden Betroffene auch oft unter Angst und Furcht. Lebhafte Alpträume vermischen sich mit Halluzinationen und lösen teilweise panisches Verhalten aus. Begünstigt wird die Angst durch die häufig auftretende Orientierungslosigkeit. Patienten wissen oft weder wo sie sind, noch welches Datum der aktuelle Tag hat. Die Orientierung zur eigenen Person – sprich die eigene Identität – ist dabei meistens aber noch bewusst und wird nicht in Frage gestellt.
Zudem ist das Durchgangssyndrom nach einer Operation von einer gestörten Psychomotorik geprägt. Sowohl lethargische als auch hyperaktive Zustände können auftreten. Auch ein Wechsel zwischen den beiden Extremen ist möglich.
Außerdem kann die folgende vegetative Symptomatik auftreten:
- Blässe
- Erröten
- Schwitzen
- Herzrhythmusstörungen
- Übelkeit und Erbrechen
- Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus
Die Symptome des postoperativen Durchgangssyndroms sind nachts und in den frühen Morgenstunden am ausgeprägtesten.
Unterschiedliche Aktivitätsänderungen beim postoperativen Delir
Angehörige sind häufig irritiert, da sich das akute organische Psychosyndrom in unterschiedlichen Aktivitätsänderungen manifestieren kann. Zum einen zeigt sich überaus aktives Verhalten (hyperaktiv agitiertes Verhalten), aber auch langsame und schwerfällige Verhaltensweisen (hypoaktives Verhalten) können auftreten.
Die folgende Übersicht zeigt Ihnen, welche Bereiche von den Verhaltensstörungen betroffen sind und wie die pathologischen Verhaltensweisen aussehen.
Störungen im Bereich: | Hyperaktiv agitiertes Verhalten: | Hypoaktives Verhalten: |
Aufmerksamkeit | Nesteln | Schwere kognitive Störungen |
Gedächtnis | Zupfen | Gestörtes Denken |
Wahrnehmung | Stereotype Handlungen | Gedanken sind weitschweifig, ziellos, unlogisch, ohne Zusammenhang |
Orientierung | Zwecklose und sich wiederholende Handlungen | Wahnhaftigkeit |
Verhalten | Den Drang zur „Flucht“ | Halluzinationen |
Psychomotorik | Erhöhte Wachsamkeit | Ängstlichkeit |
Schlaf | Hypertonie | Teilnahmslosigkeit |
Unruhe | Zustand wie im Halbschlaf | |
Herzrasen | Immobilität | |
Schwitzen | ||
Entfernen von Infusionsschläuchen, Verbänden und dergleichen |
Die Symptomatik des Durchgangssyndroms nach einer Operation ist daher sehr vielfältig und bedarf einer genauen Diagnostik durch einen Arzt.
Was sind die unterschiedlichen Ausprägungen beim Durchgangssyndrom?
Es gibt zwei Arten des postoperativen Delirs. Nicht immer ist eindeutig, dass es sich um ein Durchgangssyndrom handelt. Wie die beiden Erscheinungsformen aussehen und welche Symptome sich zeigen, sehen Sie in der folgenden Darstellung.
Fallbeispiel: Vor der Operation – eigentlich war alles ganz normal
Frau Sieber, eine Bewohnerin eines Seniorenzentrums, ist eine freundliche und kooperative Frau. Sie scherzt mit den Pflegekräften und freut sich, wenn sie auch mal verwöhnt wird, z. B. wenn ihr die Pflegekräfte mit einem wohlriechenden Öl den Rücken massieren.
Nun steht eine Operation an, auf die Frau Sieber gut vorbereitet wird. Ihr Hausarzt bespricht mit ihr die Details, ihre Tochter kommt und redet ihr gut zu. Die Pflegekräfte beantworten alle Fragen, die Frau Sieber bewegen. Sie ist zur Operation bereit und fühlt sich nach eigener Aussage gut mit dem Gedanken.
„Tag X“ der Operation rückt näher | Wenn Frau Sieber an die Operation denkt, ist ihr etwas mulmig zumute. Sie weiß, dass eine OP immer auch Risiken birgt, und das macht sie etwas nervös. Andererseits hat sie das Vertrauen in die Ärzte und die Pflegekräfte, dass diese ihr Bestes geben. Sie hilft mit bei den Vorbereitungen für das Krankenhaus, packt ihre persönlichen Sachen in eine Tasche. |
Alles ist gut verlaufen | Die Operation ist zu Ende, und es sind keinerlei Komplikationen aufgetreten. Frau Sieber ist im Aufwachraum. Bald wird sie aus der Narkose erwachen, die Werte wie Puls und Blutdruck sind normal. Die Tochter ist im Krankenhaus anwesend und weiß, sie wird gerufen, wenn ihre Mutter wach ist. |
Nach der Operation: Verwirrung und Aufruhr | Als Frau Sieber im Aufwachraum die Augen aufschlägt, weiß sie nicht, wo sie ist. Die diensthabende Krankenpflegerin Silke erklärt ihr die Situation, aber Frau Sieber möchte nicht zuhören. Sie beginnt zu schreien und will das Bett verlassen. Silke verständigt die Tochter, die sofort zu ihrer Mutter vorgelassen wird. Frau Sieber schreit lautstark: „Ich will hier raus, lassen Sie mich sofort gehen, Sie haben kein Recht, mich hier festzuhalten!“ Die Tochter versucht, auf ihre Mutter Einfluss zu nehmen und sie ruhiger zu stimmen. Doch Frau Sieber lässt sich nicht abbringen und reißt sich plötzlich den Infusionsschlauch aus dem Arm. |
Die Symptome deuten auf ein postoperatives Delir hin | In den nächsten Stunden und Tagen wird Frau Sieber zusehends verwirrter. Sie leidet unter Halluzinationen, schwitzt stark und hat einen hohen Blutdruck. Die Ärzte diagnostizieren ein „postoperatives Delir“, auch Durchgangssyndrom genannt. |
Die Verwirrung ist komplett | Das Durchgangssyndrom zeigt sich oft beim Aufwachen aus der Narkose, kann aber auch erst nach Stunden oder sogar Tagen auftreten. Die betroffene Person kennt sich nicht aus, weiß nicht, wo sie ist und leidet unter Unruhe. Sie kennt beispielsweise weder Tag noch Monat und manchmal nicht einmal mehr ihre Angehörigen. Dieser Zustand kann drei bis vier Tage, jedoch auch bis zu mehrere Wochen oder sogar Monate dauern. |
Das Delir kann gefährlich werden | Das postoperative Delir ist sehr belastend für den alten Menschen, aber auch für Angehörige und Pflegekräfte. Dieser Zustand wird oft nicht erkannt und bedeutet für die Pflegekunden, dass möglicherweise die Rehabilitation nicht gelingt. Außerdem ist die Sterberate deutlich höher, wenn ein postoperatives Delir vorliegt. |
Verdacht auf ein postoperatives Delir: Ein Test gibt Aufschluss
Das Problem bei einem postoperativen Delir ist, dass es oft zu spät erkannt wird. Vor allem wenn kein hyperaktives, sondern hypoaktives Verhalten auftritt, ist dies der Fall. Um Klarheit über die Umstände zu bekommen, kann bei Verwirrtheit nach Narkose ein Test durchgeführt werden. Dazu soll der Pflegekunde bei einer Untersuchung zehn Fragen beantworten.
Durchgangssyndrom-Test: „abbreviated mental test“ (AMT)
Wie alt sind Sie? |
Wie spät ist es (nächste volle Stunde)? |
Merken Sie sich bitte die folgende Adresse: Kirchengasse 42. |
Welches Jahr haben wir gerade? |
Wie heißt dieses Krankenhaus? |
Wiedererkennen von zwei Personen (z.B. Arzt, Schwester) |
Wann sind Sie geboren? |
In welchem Jahr hat der Erste Weltkrieg begonnen? |
Wie heißt der Bundespräsident? |
Zählen Sie bitte zurück von 20 bis 1. Wie lautet die Adresse, die Sie sich gemerkt haben? |
Wenn drei oder mehr Fragen falsch beantwortet werden, wird der Test positiv bewertet.
Was kann man gegen das Durchgangssyndrom tun?
Das Durchgangssyndrom lässt sich durch verschiedene Maßnahmen abmildern: Häufiger Kontakt zu Angehörigen, Orientierungshilfen im Pflegezimmer und ein normaler Tag-Nacht-Rhythmus.
Durchgangssyndrom: Goldene Regeln, um die Symptomatik zu lindern
Wenn Ihr Pflegekunde operiert wird, kann er bereits nach einem Tag wieder zu Hause oder in der Einrichtung sein (ambulante OP). Somit können Sie stark Einfluss auf die „Zeit danach“ nehmen. Aber auch bei einem längeren Krankenhausaufenthalt haben Sie einige Möglichkeiten, ein postoperatives Durchgangssyndrom abzumildern:
- Informieren Sie die Angehörigen, dass diese bereits im Krankenhaus die Umgebung des Patienten entsprechend gestalten. Dies geschieht am besten mit bekannten Dingen, zum Beispiel Fotos.
- Ihrem Pflegekunden sollten im Zimmer eine Uhr und ein Kalender zur Verfügung stehen, um die Orientierung zu fördern.
- Wenn Sie Einfluss haben: Gestalten Sie den Ablauf so, dass Ihr Pflegekunde einen normalen Tag-Nacht-Rhythmus hat, also beispielsweise tagsüber natürliches Licht, nachts kein künstliches Licht, kein Lärm (Geräte, Klingel), damit Ihr Pflegekunde schlafen kann. Dies könnte im Rahmen der Überleitungspflege bewerkstelligt werden.
- Sorgen Sie dafür, dass der Patient schnellstmöglich nach der OP sein(e) Hörgerät(e) eingesetzt bekommt und die Brille benutzt. Auch die Zahnprothesen sind von Bedeutung. Dies dient dem Verständnis, der Interaktion und der Orientierung.
- Wirken Sie darauf hin, dass die Angehörigen so oft wie möglich vor Ort sind/sein dürfen.
- Erklären Sie den Angehörigen die Zusammenhänge und dass eine Förderung der Kommunikation mit dem Pflegekunden das Durchgangssyndrom verhindert bzw. die Dauer verkürzt.
- Versorgen Sie Ihren Pflegekunden mit viel Flüssigkeit.
- Es kann sein, dass Ihr Pflegekunde Angstzustände bekommt. Geben Sie ihm Zuwendung und versuchen Sie ihn zu beruhigen.
- Wichtig ist eine frühe Mobilisation.
Mit den richtigen Maßnahmen lassen sich viele Bewusstseinsstörungen verhindern beziehungsweise abmildern. Dabei ist es egal, ob der Patient zurück in die Pflegeeinrichtung darf oder auf der Intensivstation bleiben muss – die ersten Stunden und Tage nach einer OP sind entscheidend, wenn es darum geht, ob sich ein Durchgangssyndrom ausbildet oder nicht.
Wie erfolgt die klinische Therapie des Durchgangssyndroms?
Zunächst werden nicht-pharmakologische Maßnahmen eingesetzt, um das postoperative Delir zu mildern. Ist dies nicht erfolgreich, ist eine medikamentöse Therapie mit Antipsychotika (Neuroleptika) notwendig.
Die Prävention und Behandlung des Deliriums kann über eine 3-stufige Strategie erfolgen:
- Nicht-pharmakologische Maßnahmen zur Primärprävention, wie im vorherigen Abschnitt erläutert
- pharmakologische Prophylaxe
- Therapie des Delirs in erster Linie mit Antipsychotika
Trotz vieler Studien sind einige Zusammenhänge, die das postoperative Delir betreffen, noch im Unklaren. Untersuchungen machen jedoch deutlich, dass die Gabe von Psychopharmaka die Situation positiv beeinflussen kann.
Bei Verdacht auf ein Durchgangssyndrom: Seien Sie mutig
Obwohl es hinreichend bekannt ist, dass es das Durchgangssyndrom gibt und ältere Menschen besonders gefährdet sind, wird noch zu wenig darauf geachtet. Immer wieder kommt es vor, dass auch Ärzte ein postoperatives Syndrom unterschätzen.
Sie bemerken, dass ein Patient nach einer Operation besonders verwirrt ist, unter Stimmungsschwankungen leidet und andere Anzeichen eines Durchgangssyndroms zeigt? Wenn Sie den Verdacht haben, seien Sie mutig.
Reden Sie mit dem Arzt, der während des Krankenhausaufenthalts zuständig ist. Vielleicht verhindern Sie somit schlimme Folgen für Ihren Pflegekunden. Denn einige präventive Maßnahmen ermöglichen es, die Symptomatik des Durchgangssyndroms zu mildern.